Rückblick von Michael Meffert-Das unfreiwillige Ende bei der Hochseefischerei
FVS ROS 309”Bernhard Kellermann”
Erlebnisse 14
Nachwort Michael Meffert Nachwort Michael Meffert
Die letzte Reise Es fällt mir nicht leicht, diese letzte Geschichte niederzuschreiben, weil ich mit der Fischerei über einen langen Zeitraum danach noch nicht fertig war. Wir sind also nach der Seuchenreise aus der Neptunwerft gekommen und wurden für die nächste Fahrt ausgerüstet. Außerdem bekam die Kellermann eine neue Schiffsführung. Ich kann nicht begreifen, daß Führungspersonal, welches eine derartige seemännische Topleistung wie die letzte Heimreise hinbekommt, ausgewechselt wird. Ein fast manövrierunfähiges Schiff punktgenau über den Atlantik zu bringen, so viel Hüte kann man gar nicht ziehen. Es konnte nur eine dumme, politische Entscheidung gewesen sein, wofür sichdie Kombinatsleitung da entschieden hat. Das erste, woran ich mich erinnere, ist die Ausfahrt. Ich hatte Ruderdienst und durfte ein erstes Mal den Dampfer die Warnow runter steuern. Der Lotse kam an Bord und es ging los. Zunächst waren die Kommandos anders als gewohnt. Der Lotse sagte nicht wie üblich, fünf Grad Backbord oder zehn Grad Steuerbord, sondern, siehst du den einzelnen Baum da drüben, den nimmst du aufs Korn, oder und jetzt das gelbe Gebäude. Das war so, bis die offene See vor uns lag, aber dann wieder wie gewohnt. Überhaupt hatte ich sehr gern Ruderdienst. Auf dem Trawler die Knopfsteuerung; Backbordknopf, Steuerbordknopf und in der Mitte der Beschleunigungsknopf, welcher zusätzlich gedrückt werden mußte, wenn das Manöver schneller erfolgen sollte. Dann auf dem Logger das große Steuerrad, mit dem man schon mal das ganze Schiff spüren konnte. Einfach war die Bedienung des kleinen Handrades auf dem Fang- und Verarbeitungsschiff. Die letzte Reise verlief normal. Wir fischten in den Fanggründen um Neufundland. Dann kam der 16.10.1966. Meine Schicht begann Ortszeit 18 Uhr. Kurz nach Schichtbeginn begannen wir zu hieven. Ich war zusammen mit einem Kollegen zuständig für das Steuerbordschehrbrett. Also, als erstes vom Geschirr kommen die Scherbretter aus dem Wasser. Diese werden achtern eingehängt. Dann werden die Hahnepooten in die Slip gewuchtet. Sie sind noch mit der Kurrleine verbunden. Ganz langsam wird weitergehievt, bis die Hahnepooten ein Stück an Deckliegen. Das Quetschglied der Hahnepooten wird von der Kurrleine geschraubt und um das Schanzkleid der Slip in eine Klampe eingehängt. Danach zieht die Windeweiter. So weit waren wir also. Ich ging ein kleines Stück Richtung Winde und schaute an der Slip runter Richtung Wasser um zu sehen, wie viel Fisch etwa im Steert ist, da dieser immer als Erstes aus aus dem Wasser kommt. Als Nächstes vom Vorgeschirr kamen die Jager aus der See. Irgendwie machte der Dampfer eine kleine Bewegung Richtung Steuerbord. Der Jager auf meiner Seite geriet unter die Hahnepooten. Durch den Zug der Winde wurde der Druck auf das Quetschglied so groß, daß es sich losriss und mir an den Oberschenkel knallte. Gottseidank schlug es nicht ein Stück höher ein. Von da an weiß ich nicht mehr viel. Ich wachte im Schiffshospital auf. Der Doktor hatte mich schon geröntgt, konnte aber nicht mehr mit mir machen als mich mit einer Schiene zu fixieren und mir Injektionen gegen die Schmerzen zu geben. Einen Streckverband mit Gewichten war wegen der Schiffsbewegungen nicht möglich. Dazu wäre es notwendig gewesen, mich nach Saint Jones zu transportieren. Ich weiß nicht mehr, wie viele Tage ich noch auf der Kellermann gelegen habe. Man hat abgewartet bis der nächste Dampfer nach Hause gefahren ist. Es war ein Zubringertrawler ( Seitenfänger). Mit dem Schlauchboot wurde ich dorthin verbracht, in eine Kabine gelegt und ab ging es gen Rostock. Die Fahrt nach Rostock war die Hölle. Im Hospital der Kellermann hatte ich in einem Spezialbett gelegen,welches die Bewegungendes Schiffes auffingen. Außerdem konnte mir der Arzt helfen, die Schmerzen einigermaßen zu ertragen. Auf dem Trawler lag ich in einer normalen Koje, in der ich jede Bewegung und jede Vibration des Schiffes stark mitbekam. Geeignete Medikamente zur Verminderung der Schmerzen waren nicht vorhanden. Wie gesagt, diese Überfahrt ist die Hölle gewesen. In Rostock wurde ich in das, damals neu eröffnete, Südstadtkrankenhaus gebracht. Dort bin ich sofort operiert worden. Man hat mir vom Knie aufwärts links und rechts zwei Nägel in den Oberschenkelknochen getrieben. Dann wurde das Bein eingegipst.Nach ca.einem Monat ist der Gips entfernt worden und ich wurde nach Hause gefahren. In Großenhain habe ich mich sofort zur weiteren Behandlung in das dortige Krankenhaus begeben. Es begannen tägliche, physioterapeutische Übungen. Ungefähr drei Monate später haben sich links wie rechts am Knie zwei Huckel gebildet. Beim Röntgen wurde bemerkt, daß beide Nägel rausgerutscht sind. Es erfolgte eine OP, bei der die Nägel entfernt wurden. Die physioterapeutischen Behandlungen gingen weiter. Man kam aber mit mir nicht so recht vorwärts , außerdem hatte ich bei jeder Behandlung und auch im normalen Leben sehr starke Schmerzen. Irgendwann bekam ich eine sechswöchige Reha im Sportsanatorium Raupennest in Altenberg. Auch diese hat mir nicht geholfen. Nach reichlich einem Jahr hörte auch die Zahlung des Krankengeldes auf. Mit meinem Vater fuhr ich nach Rostock, um im Kombinat zu klären, warum ich auf einmal fallengelassen werde. Als erstes begaben wir uns in die Betriebspoliklinik und sprachen beim Hafenarzt vor, erklärten unser Anliegen und baten ihn, uns den Unfallbericht des Schiffsarztes zur Einsichtnahme vorzulegen. Der Hafenarzt entsprach unserer Bitte und wir lasen ziemlich erstaunt den Unfallbericht. Dort stand nichts weiter darin als die paar Worte: Der Matrose Michael Meffert hatte am 16.10.1966 einen Betriebsunfall, wahrscheinlich Oberschenkelfraktur. Da wir das äußerst dürftig fanden und ich auch wußte, daß der Schiffsarzt geröntgt hatte, informierte ich den Hafenarzt; die Röntgenbilder befinden sich im Südstadtkrankenhaus. Außerdem wollten wir wissen, wie wir den Bordarzt erreichen können. Es gab nur die Auskunft: der Kollege arbeitet nicht mehr im Kombinat, wahrscheinlich ist er in einem Landambulatorium, man weiß aber nicht wo. Na ja, eine Krähe........ als wir denHafenarzt fragten, ob er sich erklären kann, warum der Bericht so dürftig ist, machte er die Bemerkung, da war doch der Vorgang mit dem Politoffizier! Jetzt wußten wir, warum ich nicht nach Saint Jones ins Krankenhaus gebracht worden bin. Die neue Schiffsleitung hatte nach den Vorkommnissen der letzten Reise ganz einfach Bammel, den ca.einen Tag entfernten Hafen anzulaufen. Mit dem Wissen wurden wir beim Justiziar des Fischkombinates vorstellig. Die Fakten wurden dort alle auf den Tisch gelegt und wir baten den Kollegen, sich der Sache anzunehmen. Er versprach uns, den Vorgang zu prüfen. Ein Gutes hatte der Kontakt mit dem Hafenarzt aber doch. Im Anschluss an unsere Besprechung besorgte er mir für den nächsten Tag einen Termin bei Professor Seyfahrt, dem Chef der Orthopädischen Universitätsklinik Rostock. Diesen Termin nahm ich selbstverständlich wahr. Nach einer ausführlichen Untersuchung kam der Professor zu dem Ergebnis, daß ich operiert werden muß. Es wurde zeitnah ein Termin festgemacht. Ich fuhr nach Rostock, um die Operation durchführen zu lassen. Die OP erfolgte und am nächsten Tag , als ich erwachte, gab es eine totale Überraschung. Der Professor eröffnete mir, daß die OP ergeben hat: ich bin die ganze Zeit mit einem gebrochenen Bein herumgelaufen. Was die Krankengymnasten bewegt haben war nicht das Knie, sondern immer die Bruchstelle. Die behandelnden Ärzte im Kreiskrankenhaus Großenhain haben ein Jahr nicht bemerkt, daß mein Bein überhaupt nicht zusammengewachsen ist und das meine Schmerzen bei jeder Behandlung nicht vorgetäuscht waren. Für die Orthopädie Rostock war das eine Sensation. Der Professor ließ mich in den Vorlesungssaal der Uni fahren und so wurde ich zum Mittelpunkt einer Vorlesung. Darauf hätte ich aber gerne verzichtet. Bei der OP ist eine Schiene an den Knochen gelegt und mit Schrauben befestigt worden. Dann lag ich in der Uni, bis die Wunden verheilt sind. Im Anschluss daran bekam ich einen Beckenbeingips. Das muß man sich so vorstellen. Der Gips reichte von den Füßen bis kurz über den Bauchnabel. Dabei war das operierte Bein vollständig zugegipst, das gesunde bis übers Knie. Die Beine im Winkel von etwa vierzig Grad gespreizt. Dazwischen eine schräge Leiste. Zum Verrichten der Notdurft war zwischen den Beinen eine Aussparung vorhanden. Diese Zwangsjacke ist nun für reichlich fünf Monate mein Kokon gewesen. Ich wurde von Rostock nach Graal-Müritz gefahren. Dort befand sich eine sogenannte Abliegestation der Uniklinik. Nach dieser, nicht endend wollenden Zeit, ging es zurück nach Rostock. Der Gips wurde entfernt, es schlossen sich Untersuchungenan, dann nahm das Unglück seinen Lauf. Ich erinnere mich, daß der Professor sich an mein Bett gesetzt hat und mir mitteilte, mein Bein ist nicht zusammengeheilt! Wahrscheinlich ist die Zeit, in der ich vom Fangplatz zurück transportiert wurde, zu lange gewesen ( über den Ärztepfusch in Großenhain hat er nichts gesagt). Als ich ihn fragte, was das für mich nun bedeutet, sagte er mir folgendes. Es gibt für mich nur die Möglichkeit,daß das Bein versteift wird. Es ist in meinem Bein noch frisches Knochenmaterial, meine Kniescheibe. Die wolle er benutzen um die Knochenenden aufzufrischen. Dann wird ein Nagel vom Oberschenkelhals an der Hüfte durch den Oberschenkel, durch das Knie,bis zur Hälfte des Unterschenkels getrieben. Danach noch mal Beckenbeingips,fünf Monate Graal-Müritz und beten, daß der Knochenzusammenwächst, weil , wenn nicht, heißt die letzte Option: Amputation. Jetzt also war ich an dem Punkt, wo mein Traum von der Hochseefischereiendgültig zu Ende geträumt war. Bis zu diesem Moment hatte ich, als Optimist immer noch gehofft, alles wird gut. Das war meine letzte Reise.