FVS ROS 309”Bernhard Kellermann”
Erlebnisse 4
Es war im September 1964 und das nagelneue FVS BERNHARD KELLERMANN lag an der neuen,
noch nackten Warnowpier zum Ausrüsten. Die Decksbesatzung kannte sich bereits seit der Zeit der
Werftausrüstung und der Werftübernahme in der Mathias-Thesen-Werft in Wismar. Kapitän Cartsburg
war es gelungen aus den Besatzungen seiner vorherigen Schiffe eine fast komplette Decksmannschaft
zusammenzustellen . Diese bestand vorwiegend aus Leuten des Loggers ROSTOCK und des FVS
BERTOLT BRECHT. Der ehemalige Netzmacher der ROSTOCK hatte auf seiner letzten Reise eine
interessante Entdeckung gemacht. Auf dieser Reise wurden versuchsweise auch einige Fässer
Kräuterhering eingelegt und kurz vor dem Einlaufen auch mal gekostet. Er wusste dann welche
Köstlichkeit in den Fässern reifte. Während des Ausrüstens der KELLERMANN kamen wir des öfteren
an der Salzpier vorbei und unser Willi entdeckte einige Fässer Kräuterhering. Er hat uns den Mund dann
so wässrig gemacht, dass wir uns in der Halle eine Kostprobe erbeten haben. Der Kollege meinte zwar,
der Hering wäre noch nicht richtig durchgereift, uns hat er aber schon wunderbar geschmeckt. Er
erzählte uns dann noch, dass die Kräutermischung aus Schweden kam, und mit dem Kräuterhering
getestet werden sollte, ob so etwas bei der Bevölkerung ankommen würde. Er hatte wohl nur vergessen
das entsprechende Land zu benennen. Den Kollegen an Land wurde ja auch nicht alles erzählt. Nun war
es aber anschließend so, dass der Gedanke an den Kräuterhering aus unseren Köpfen nicht mehr zu
vertreiben war. Am späten Nachmittag kamen wir zu dritt auf den Gedanken uns, wie weiland die
Piraten, eines Fasses zu bemächtigen.Also zogen wir drei in der Halbnacht los. Vorher, so gegen 19
Uhr, hatten wir uns noch einmal alles genau angesehen. Zum Transport des Fasses haben wir uns zum
Feierabend der betriebseigenen Bauabteilung eine sogenannte Dreikantfeile ausgesucht. Es handelte
sich dabei um einen dreirädrigen Muldenkipper mit einem einzylindrigen Dieselmotor. An der
Giebelwand der Frischfischhalle in unmittelbarer Nachbarschaft zur Salzerei wurde gebaut und dort
stand dieses Gerät. In der Halbnacht siegte dann das kriminelle Element und wir machten uns auf den
Weg. Aber unser Schreck war groß, die Fässer waren weg. Nach einiger Zeit fanden wir etwas abseits
ein Fass mit der bekannten grünen Markierung. Mit dieser Markierung waren alle Kräuterheringsfässer
versehen. Willi hat erst einmal geprüft ob in dem Fass auch wirklich Kräuterhering war, und es war
Kräuterhering. Allerdings nur halb voll. Das war uns aber egal. In der Zwischenzeit hat -Nutte-, ein
Klassekerl der ROSTOCK, mit einer Schweißelektrode als Zündschlüssel die Dreikantfeile gestartet
und kam als Bauarbeiter vorgefahren. In Windeseile wurde das Fass in die Kippermulde gehievt und
Nutte fuhr auf der Straße hinter den Frischfischhallen mit unserer Beute zur Warnowpier. Willi und ich
sind mit flottem Schritt, mal laufend und mal gehend, hinter dem Fahrzeug hinterher. Dabei wäre bald
alles aufgeflogen, denn ein Wachmann kam uns entgegen, wir haben uns schon vor dem Kadi gesehen,
aber er hat die Fuhre nicht beachtet. Nutte hat ebenfalls einen gehörigen Schreck bekommen und sich
entschlossen den Wachmann nicht zu beachten. Das war wahrscheinlich auch die richtige Entscheidung.
Wie wir an der KELLERMANN ankamen haben uns Dreien die Knie geflattert und wir waren nicht
mehr in der Lage, unser Fass die Gangway hochzuwuchten. Wir haben unser Fass erst einmal zwischen
angelieferten Ausrüstungsgegenständen versteckt und wollten den nächsten Morgen abwarten. Am
nächsten Morgen haben wir dann mit dem Kran unser getarntes Fass zusammen mit leeren Ölfässern an
Deck setzen lassen. Unser Fass haben wir dann in der Deckslast verstaut und vor neugierigen Blicken
getarnt. Zur Erläuterung möchte ich noch beifügen, dass die alten Ölfässer vom Decksschlosser später
mit Ösen versehen wurden und ihren Einsatz als Auftriebsmittel an Übergabesteerten erleiden mußten.
Andere Auftriebsmittel außer Lampenbojen aus Ekazell und Plastikblasen für die Korkleine gab es zu
der Zeit noch nicht. Am frühen Nachmittag war dann im Kombinat der Deibel los, denn es wurde nach
einem Fass Kräuterhering gesucht, welches in den Export gehen sollte. H A L L O ?, ein halb gefülltes
Fass in den Export? Wer lässt denn so ein wichtiges Objekt unbeobachtet herumstehen. Wahrscheinlich
haben wir mit unserer Aktion eine Straftat vereitelt, ha, ha,ha. ! Das wir mit unserer Tat unseren Beruf
auf´s Spiel gesetzt haben, ist uns erst Jahre später bewusst geworden.
Nun die Frage, was ist aus dem Fass geworden ? Auf dieser ersten Reise der KELLERMANN war die
Deckslast von allen Eingeweihten, der Kombüse und beiden Messen ein gern besuchter Ort. Gefragt
´woher ?´ hat zum Glück niemand. Eines Tages war es dann soweit, der Fassboden war erreicht, Die
Fassringe wurden mit vom Decksschlosser hergestellten Fasshämmern herunter
geschlagen , Deckel, Boden, Dauben und Ringe landeten vor Labrador im großen Nordatlantik. Nun
begann die Fischerei auf konventionelle Art und unser Fang der besonderen Art geriet zum Glück in
Vergessenheit, bis zum oben beschriebenen Einkauf.
Kräuterhering vom Fass
erzählt von Bernd Leverenz