FVS ROS 309”Bernhard Kellermann”
Erlebnisse 5
Erzählt von Bernd Leverenz
Aktivitäten während des Landgangs in und um St.John's
St.John's ist die Hauptstadt der kan. Provinz Neufundland und Labrador. Momentan
hat St.John´s eine Einwohnerzahl von 100.000. In der Zeit von 1963 bis 1966 werden
es erheblich weniger gewesen sein. 1966 prägte eine hohe Arbeitslosigkeit diese
Region und wurde von der Schriftstellerin E.Annie Proulx in ihrem authentischen
Roman ´Schiffsmeldungen´ eindrucksvoll beschrieben. Ab 1993, dem Jahr des
absoluten Fischereiverbots hat die kan. Regierung sehr viel in diese Region investiert,
das Ergebnis kann sich äußerlich sehen lassen.Wenn es uns möglich war, verbrachten
wir unsere freie Zeit in der Umgebung der Stadt und des Hafens. Einige Kollegen
fanden Kontakt zu ausgewanderten Deutschen, die glücklich waren,mit deutschen
Landsleuten zu sprechen. Dass wir aus dem östlichen Teil Deutschlands, also der DDR
kamen, spielte dabei keine Rolle. Als Gastgeschenk stand unser bordgebackenes
Mischbrot hoch im Kurs. Die mit Brot ausgerüsteten Kollegen hatten eigentlich mit
Familienbesuchen und Neufundlandrundfahrten eine angenehme Zeit in St.John´s.
Dies fand natürlich alles unter dem Siegel der Verschwiegenheit statt. Solche
Gelegenheiten hatten jedoch die meisten Kollegen, mich mit eingeschlossen, nicht.
Letzteres kann natürlich der Schlüssel für die uns gewährte Freizügigkeit bei
Landgängen gewesen sein. Es fanden sich immer einige Kollegen, die gerne etwas
Fremdes und Unbekanntes sehen und erleben wollten. Zum Beispiel haben wir
Kontakt zu spanischen, französischen und portugiesischen Fischern aufgenommen und
uns ihre Schiffe mit den Lebensbedingungen an Bord angesehen. Es hat keinen bei uns
gegeben der mit ihnen getauscht hätte. Anders herum sah das ganz anders aus. Man
muß sich einmal vorstellen, im großen Vorschifflogis mit bekorkter gestrichener
Bordwand, zwanzig einfachen Kojen, ohne Fremdbelüftung und eigener
Proviantversorgung, auf einem 2-flammigen Elektrokocher kochend, lebten zwanzig
Matrosen. Die besseren Kammern mit Kombüsenversorgung standen nur den
Dienstgraden Netzmacher, Salzmeister und den Offizieren zu. Als lohnenswert
empfand ich auch einen zufälligen Besuch auf dem Bahnhof von St.John´s. Es war
imponierend vor den großen kantigen Dieselloks zu stehen die wir bei uns nicht
kannten. Zu der Zeit fuhren bei uns die Schnell- und D-züge noch mit kohlebefeuerten
Dampfrössern. Eine Ausnahme bildeten nur der Regierungszug der Vindebona- und
der Neptun-Express. Die großen Reisewagen hatten nur leichte Ähnlichkeit mit
unseren Reisewagen. Jetzt weiß ich, es waren die typischen Loks und Wagen des
gesamten amerikanischen Kontinents der damaligen Zeit. Im Straßenbild fiel uns an
den Tagen vor den Wochenenden auf, dass die jungen und älteren Mädchen sowie
Frauen ihre Lockenwickler im Haar ausführten. Desweiteren trugen die jungen
Mädchen fast alle Brillen. Ein Werftarbeiter erklärte uns, das wäre bei den Mädels
hierzulande der letzte Schrei, zumal die Gläser ohne Dioptrinstärke waren. Am
vorletzten Tag der Reparaturarbeiten entschlossen wir uns zu siebent die angestrebte
Bergtour auf der gegenüberliegenden Seite des Hafens und der Stadt zu unternehmen.
Die Temperaturen waren mit +5° C recht angenehm, und so wurde es eine sehr schöne
Unternehmung. Reichlich Butterbrote hatten wir uns an Bord geschmiert und
mitgenommen. Wir haben hinter der Werftanlage rechts der großen Tankanlage den
Höhenzug bestiegen.
Von hier hatten wir einen herrlichen Blick auf den Hafen und die Stadt Saint John´s.
Erst von hier war die räumliche Ausdehnung der Stadt zu sehen. Der Blick reichte bis
hinter den Flughafen denn es war ein klarer Tag. Nachdem wir uns an unserem
Proviant gestärkt hatten stiegen wir einen sehr steilen Abhang bis auf die Klippen
hinunter. Dabei hätte es fast einen Unfall gegeben, denn einer von uns hielt sich im
steilen Abstieg an einem verdorrten Gebüsch fest, welches abbrach, und er ca. 10m
den steilen Abschnitt hinunterstürzte bis er an einem festeren Gestrüpp wieder Halt
fand. Wir hatten alle einen gehörigen Schreck bekommen. Zum Glück blieb es bei
Hautabschürfungen an Armen und Beinen und blauen Flecken.Sein etwas
korpulenterer Körper hat wohl schlimmeres verhindert.
Im Anschluß daran waren wir vorsichtiger und benutzten auch ein Seil, dass wir bei
uns führten. Auf einer Klippe liegend staunten wir über die anbrandende Dünung unter
uns. Dabei sah die Wasseroberfläche vollkommen glatt aus. Dieser Anblick war
atemberaubend und wir waren höchst beeindruckt.
Nachdem wir das Klippenplateau verlassen hatten, wollten wir an der Küste entlang
zum Lighthaus an der Hafeneinfahrt weiterlaufen. Diesem Vorhaben stellte sich eine
massive hohe Felswand in den Weg. Nun mußten wir den Plan ändern und hatten
Glück. In einer kleinen Felssenke fanden wir die Reste eines kleinen Feuers dabei lag
etwas eingeklemmte geflochtene Angelleine mit einem noch blanken Haken. Diese
Utensilien brachten uns auf den Gedanken, dass es einen Weg nach oben geben muß.
Wir hatten damit Recht und fanden nach kurzem Suchen einen gangbaren Weg nach
oben, zurück auf den Bergrücken. Nun sahen wir auch den tief unter uns liegenden
Leuchtturm. Dieses Ziel haben wir ohne Schwierigkeiten auf dem abfallenden Gelände
im Zick-Zack-Abstieg erreicht. Auf dem Foto sehen wir alle recht geschafft aus, was wir
auch waren.
So langsam machten wir uns auf den Weg, um unsere Tour an Bord zu beenden. Vom
Lighthouse führte eine Fahrstraße entlang der Hafeneinfahrt. Wir entdeckten, dass
diese Hafeneinfahrt auf kriegerische Überraschungen gerüstet war. Eine ehemalige
Bunkeranlage, auf und in den Berg gebaut, hatte immer noch ein bedrückendes
Aussehen. Dieser Eindruck wurde durch das Vorhandensein von unbrauchbar
gemachten Geschützen verstärkt. Da deutsche U-Boote im 2. Weltkrieg bis an die
Ostküste des nordamerikanischen Kontinents vorstießen, kann ich mir vorstellen, dass
Neufundland auf der Hut war. Wann diese Anlage gebaut wurde ist mir nicht
bekannt.Weiter ging es an alten bewohnten Holzhäusern vorbei. Es war anzunehmen,
hier wohnen die Ärmsten der Armen. An der Fischfabrik vorbei gelangten wir bis zur
Werft. Der weitere Weg war uns bereits bekannt, er führte uns weiter zu unserem
Liegeplatz im Hafen. Es waren schöne anstrengende Stunden mit Eindrücken, die
mich noch heute faszinieren. Am Nachmittag des folgenden Tages waren die
Reparaturarbeiten abgeschlossen. In der Zwischenzeit hatte die Schiffsleitung
erfahren, dass sich wiederum einige Kollegen aus dem Staub gemacht haben. Kapitän
Cartsburg hat diese Nachricht vom Konsul der Bundesrepublik entgegengenommen
und sich zum sofortigen Auslaufen entschlossen. Bei einbrechender Dunkelheit und
einsetzender Flut haben wir den Hafen Richtung See verlassen. Wiederum wurde ich
ans Ruder beordert und habe damit hautnah erlebt, wie unser Kapitän und der Lotse
erleben mußten, wie die KELLERMANN mit äußerster Maschinendrehzahl und
höchster Propellersteigung sich mühsam der einströmenden Flut entgegenstellen
konnte. Wir machten kaum Fahrt und ich hatte große Mühe, das Schiff im Ruder zu
halten. Schließlich waren wir durch. Bevor der Lotse von Bord ging hat er schnell
noch seinen Kaffee ausgetrunken, denn dazu hat er vor Aufregung vorher keine Zeit
gehabt. Es war schon eigenartig, dass ich auf der KELLERMANN immer wieder als
sogenannter Gefechtsrudergänger eingesetzt wurde. Ruderwache war mir eigentlich
ein Graus.
Die Computertechnik macht es möglich, jetzt,nach fast einem halben Jahrhundert
diese Gegend mit GOOGLE-earth und Streetview visuell zu besuchen, um die
Veränderungen festzustellen.Es ist hoch interessant zu erfahren, wie sich die Stadt St.
John´s verändert hat. Wie ich vor einigen Monaten gehört und gesehen habe, dass
während einer Kreuzfahrt die MS DEUTSCHLAND St.John´s angelaufen hat wurde
mir bewußt was aus dieser doch einfachen Hafenstadt in der Zwischenzeit geworden
ist. Jetzt im Jahr 2010 habe ich mich mit GOOGLEearth in St.John's interessiert
umgesehen. Fast die gesamte Altbausubstanz an der Harbour-Street und in der Water-
Street hat Platz gemacht für moderne Bank- und Hotelbauten. Dabei haben auch alte
historische Gebäude ihre Daseinsberechtigung erhalten.Die nordliche und südliche
Seite der Hafeneinfahrt hat ebenfalls eine Verjüngungskur erlebt. Wo recht
heruntergekommene Häuschen standen sind helle freundliche Häuser im alten Holzstil
entstanden. Von der Fortanlag der südlichen Fort- Amherst Road ist nichts mehr zu
sehen. Unterhalb des Leuchtturms sind die Ruinen derBefestigungsanlage noch
erhalten. In diesem virtuellen Rundgang habe ich viele Orte wieder entdeckt. Es ist
schon erstaunlich mit welchem Interesse wir die Gegend in und um St.John´s zu Fuß
erkundeten. Nachdem ich viele Orte wieder entdeckt habe bleibt nur noch der Bahnhof
übrig. Der Bahnverkehr wurde in den vergangenen Jahren eingestellt und durch
modernen Busverkehr ersetzt. Was in Deutschland teilweise durchgeführt wird, wurde
auf Neufundland flächendeckend eingeführt. Es ist bemerkenswert, dass dem
Bahnhofsgebäude sowie einer Auswahl von Lok- und Wagentechnik in Form eines
Museums ein Denkmal gesetzt wurde.