Unser Bootsmann 1966 in Aktion
So ein Bootsmann, wie er auf den Großschiffen fuhr, muß schon ein ganz besonderer
Mensch sein. Er soll an Bord der gute Geist für alles und nichts sein, Widrigkeiten und
schlechter Laune immer mit guter Laune entgegen treten. Auch wenn Kollegen der
Meinung waren, als Bootsmann könnten sie sich einen feinen Tag machen, wurden
sie, bei einer Vertretungsreise als Bootsmann, schnell eines besseren belehrt.
Es war schon interessant zu sehen, wie sie als Nervenbündel durch das Schiff fegten
und am Reiseende auf die Rückkehr des Stammbootsmannes hofften. Persönlich hätte
ich diesen Job nicht für Geld und gute Worte ausgeführt. Schon während des
Ausrüstens mußte unser Bootsmann die Augen überall haben, denn Getränke wie Bier,
Brause, Selter und Cola gehörten zu seinem Revier und mußten im großen Laderaum
gestaut werden, dabei waren es vor allem die Leute vom Deck, die nicht uneigennützig
gerne halfen. Sowie die Gelegenheit günstig war, bekam schon mal ein Kasten Bier
plötzlich Beine und landete in der einen oder anderen Kammer.
Nach einigen Tagen auf See wurde ihm in der Regel diese Verfehlung mitgeteilt. Er
kannte ja seine Pappenheimer und hat immer auf deren Ehrlichkeit gebaut. Am
Reiseende war dann bei ihm die große Abrechnung, denn die Ausgabe und
Abrechnung dieser Getränke lag in seiner Hand. Es war bei weitem nicht so, dass nur
die Decksleute bevorzugt wurden. Zwischen Deck, Maschine und Verarbeitung
machte er keine Unterschiede. So war es nicht verwunderlich, dass er an Bord geachtet
und geschätzt wurde. Er war eigentlich derjenige, der für die allgemeine Sauberkeit im
Schiff zuständig war und darauf auch großen Wert legte. Wenn zum Beispiel die
Fischerei nicht lief war unser 'Alter' bisweilen nicht zu genießen, dann fielen ihm die
kleinsten Schmutzstreifen auf, wehe wenn dann der Bootsmann in der Nähe war.
Mitunter gehörte der betreffende Ort wirklich nicht zu seinem Arbeitsbereich, aber
warum streiten.
Wenn es hieß ' Bootsmann auf die Brücke ', stand entweder eine Schlauchbootfahrt an
oder ihm wurde die nächste Arbeitsaufgabe übertragen.
So war es auch an einem leicht sonnigen Tag. Wir waren mitten in der Fischerei und
staunten nicht schlecht als nach dem Hieven nicht aufgedampft bzw. ausgesetzt wurde.
Stattdessen wurden zwei Mann auf das Bootsdeck beordert um dem Bootsmann beim
Aussetzen des kleinen Schlauchbootes zu helfen. Die beiden legten ihre
Schwimmwesten an und staunten nicht schlecht, als sie gleich wieder ihre
Schwimmwesten ablegen sollten.
Diese Weisung kam vom Kapitän, der krebsrot vor Ärger auf dem Bootsdeck stand
und mit dem guten Geist des Schiffes herumzeterte. Wir haben uns bei dem Auftritt
lieber nicht sehen lassen. Wie wir nun so herumstanden, ging das Schott des
Niedergangs zur Verarbeitung auf und einer der Meister fragte uns, ob es jetzt losgeht.
Ahnungslos fragten wir, was denn losgehen soll. Na, das mit der Toilette. Aha ! Nun
kam Leben in die Bude, der Bootsmann rannte mit einer Rohrreinigungsspirale durchs
Schiff zur Damentoilette und begann dort rumzufuhrwerken.
Endlich ging uns ein Licht auf, die Damentoilette stand unter Wasser, weil diese als
Mülleimer benutzt wurde und die Lagen bestimmten Mülls sich im Abflußrohr
verfangen hatten und nun alles verstopft war. Zu Schichtbeginn haben unsere Mädels
die Toilette nicht mehr benutzen können und wollten ihre Schicht nicht antreten. Eine
Abordnung hat sich auf der Brücke beschwert und da sie im Grunde Recht hatten,
mußte das Übel beseitigt werden.
Nun ging es los und die Spirale wurde von oben fleißig in den Abfluß gedreht. Für
solche Arbeiten befand sich hinter dem Geruchsverschluß eine kleine Klappe zum
Einsetzen einer Reinigungsspirale. Nachdem die Spirale die ganze Geschichte etwas
gelockert, jedoch nicht beseitigt hatte, mußte eine andere Taktik in Betracht gezogen
werden.
Also wurde das Schlauchboot zu Wasser gelassen, der Bootsmann stieg hinterher mit
einem Haken in der Hand. Die beiden Kollegen auf dem Bootsdeck verholten das
Schlauchboot bis zum Speigatt der Toilette und nun begann die Arbeit. Er stocherte
wie wild in dem Rohr mit dem Haken herum, ohne Ergebnis. Nun ließ er sich die
Spirale heruntergeben und begann wieder, schweißüberströmt zu drehen, das alles
unter Worten von oben, wie , "hättest du vorher immer mal nach dem Rechten gesehen
wäre dieser Sch.... nicht geschehen". So waren sie die Kapitäne, wenn etwas nicht
klappte und obendrein nichts gefangen wurde.
In letzter Verzweiflung schob unser Bootsmann den rechten Pulloverärmel nach oben,
zog sich den Schlachthandschuh aus und begann mit dem nackten Arm im Rohr zu
wühlen. Dabei konnte er kleine Fetzen der Verstopfung herausbekommen, vorerst
geschah jedoch weiter nichts. Plötzlich kam sein Arm, angetrieben von der gelösten
Verstopfung , aus dem Rohr geschossen. Unter dem Druck des darauf gestauten
Wassers ergoß sich eine Fontäne in das Schlauchboot. Was da so alles hin und her
wabberte.
Mittendrin saß unser Guter, griff in seine Brusttasche und holte seine Zigaretten
hervor. Er steckte sich in aller Ruhe einen Stengel an und rauchte ihn genüßlich in der
rechten Hand bis zu Ende. So war er, unser Bootsmann, jedem anderen hätte es
wahrscheinlich den Magen umgedreht. Wie er nun endlich wieder an der Jakobsleiter
hochgeklettert war und auf dem Bootsdeck stand meinte er, nachdem er an sich
hinuntergesehen hat zum 'Alten' - "das ist vielleicht eine Sauerei". Darauf hat der 'Alte'
aus vollem Herzen gelacht und der Frieden zwischen den Beiden war wieder
hergestellt. Die Decksbrigade hat dann das Schlauchboot etwas angelupft und dabei
entleert. Der Bootsmann hat danach noch das Schlauchboot selbst gründlich gesäubert.
Endlich konnte wieder ausgesetzt werden und in der Folge müssen wir recht gut
gefangen haben, denn auf der Brücke zog wieder relative Ruhe ein. Unser Bootsmann
hat danach erst einmal seine Arbeitskleidung der Waschmaschine anvertraut. Seine
Stiefel wurden ebenfalls von außen und innen gründlich ausgespült. Bestimmt hat er
sich noch ein Bier zum guten Abschluß gegönnt.
Immer, wenn zu Hause irgendetwas an einem Wasserabfluß in Ordnung gebracht
werden muß, denke ich an diese Geschichte. Damit war sie wohl die Begebenheit in
der Hochseefischerei, an die ich mich am häufigsten erinnert habe.
Erzählt von Bernd Leverenz